Update 2022-02-28 Ein von Ricoh zur Verfügung gestelltes zweites Testgerät zeigte einige der in der ersten Version des Tests genannten Kritikpunkte, insbesondere der enorme Energiehunger und häufige Abstürze, nicht. Entsprechend haben wir diesen Test aktualisiert. Bildqualität (an der wir da schon bei unserem ersten Testgerät wenig zu bemängeln hatten) oder Bedienung sind hingegen identisch, da das Gerät mit der gleichen Firmware bestückt ist.
Hinweis Dieser Test wurde vor dem Verkaufsstart mit einer Ricoh Theta X mit der Firmware 1.00.1 durchgeführt. Seit 15. Februar gibt es die Version 1.00.2, die sich auf den beiden Testgeräten allerdings nicht installieren ließ. Da die Kamera seit dem 21. Februar offiziell lieferbar ist, wollen wir unsern Lesern den Test nicht länger vorenthalten und werden ihn aktualisieren, sobald die anfänglichen Probleme mit einer aktuellen Firmware behoben sind.
Erster Eindruck
Gegenüber den ersten Generationen der Ricoh-Theta-Baureihe ist die Theta X deutlich "gewachsen" und auch einiges größer als beispielsweise eine Insta360 One X2, eine 360-Grad-Kamera, die sogar wasserdicht ist (das ist die Ricoh Theta X nämlich nicht). Die Abmessungen entsprechen etwa denen der Ricoh Theta Z1, die vor drei Jahren auf den Markt kam und zwei große 1-Zoll-Bildsensoren hat. Die großen Sensoren hat die Ricoh Theta X nicht, dafür zwei kleine, besonders hochauflösende Bildsensoren und einen relativ großen Touchscreen, ein Novum in der Theta-Baureihe. Dieser ermöglicht erstmals eine autarke Bedienung einer Ricoh Theta, also im Prinzip ganz ohne Smartphone-App, die bislang immer zwingend erforderlich war.
Ein bisschen zu dem relativ großen Gehäuse beitragen dürfte auch die Tatsache, dass erstmals bei einer Ricoh Theta ein auswechselbarer Akku und eine Speicherkarte zum Einsatz kommen. Der Akku ist allerdings winzig und hat auch nur 4,9 Wh. Zum Vergleich: Der ebenfalls wechselbare Akku der deutlich kleineren, wasserdichten Insta360 One X2 hat 30 Prozent mehr Kapazität. Die Verwendung einer Speicherkarte ist bei der Theta X übrigens optional – sie hat auch einen ordentlich großen Flashspeicher fest eingebaut, von dem 46 GB für die Speicherung von Foto und Videos zur Verfügung stehen.
Die Haptik der Theta X ist insgesamt gut. Das Gehäuse besteht aus Kunststoff, aber griffig matt lackiert und fühlt sich hochwertig an. Das Gewicht von 170 Gramm passt gut zur Größe, die Kamera wirkt nicht zu leicht, nicht zu schwer. Der Bereich ums Display herum ist hochglänzend, ebenso die riesige Auslösetaste darunter. Außer dieser gibt es nur zwei weitere Tasten: den Ein/Aus-Schalter und den Modus-Taster (Foto/Video). Von diesem mochte sich Ricoh wohl nicht trennen. Eigentlich ist er aber hinfällig, denn den Modus kann man bei der Theta X ja nun wunderbar über den Touchscreen wählen.
Das Gehäuse ist insgesamt sehr durchdacht gestaltet. Auf der Unterseite gibt es ein Stativgewinde aus Kunststoff. Vier Mini-Füßchen an der grundsätzlich planen Unterseite sorgen für einen guten Stand auf Tischplatten und ähnlich ebenen Untergründen. Die gut zu bedienende Klappe für den Akku und die Speicherkarte lässt sich zwar nur öffnen, wenn die Kamera nicht auf einem Stativ montiert ist (außer die Stativmontagefläche ist sehr klein), das sollte aber normalerweise auch nicht nötig sein, denn die USB-C-Buchse für die Stromversorgung und zur Datenübertragung sitzt nun endlich seitlich und ist damit auch im Stativbetrieb zugänglich. Bei allen bisherigen Theta-Modellen war die Schnittstelle auf der Unterseite, ein Design-Mangel, der wilde Konstruktionen oder teures Zubehör erforderte, wollte man eine per Stativgewinde befestigte Theta mit Strom versorgen. Bei der Theta X ist das kein Problem.
Bedienung über Touchscreen
Auch der Touchscreen macht einen guten Eindruck. Zuvor steht allerdings der Boot-Vorgang an. Der dauert stolze 23 Sekunden, was daran liegt, dass in der Theta X ein auf Android basierendes Betriebssystem installiert ist. Der eigentliche Kaltstart dauert deshalb ähnlich lange wie bei einem Smartphone. Einmal eingeschaltet bleibt die Theta X dann standardmäßig betriebsbereit, d. h. ein Druck auf den Ein/Aus-Taster schaltet die Kamera in den Energiesparmodus (so ähnlich wie bei einem Smartphone) oder weckt sie aus diesem wieder auf. Das geht schnell. Ähnlich wie ein Smartphone oder ein Tablet-Computer verbraucht die Theta X im Standby allerdings kontinuierlich etwas Strom und entleert sich somit langsam auch bei Nichtbenutzung. Man sollte sich also angewöhnen, die Kamera nach der Benutzung durch einen längeren Druck auf den Ein/Aus-Taster richtig auszuschalten (herunterzufahren) oder die Ausschaltautomatik auf einen nicht zu hohen Wert einzustellen. 1 Stunde bis 48 Stunden lassen sich dort einstellen, aber 48 Stunden hält der kleine Akku im Ruhemodus nicht annähernd durch. Eine oder zwei Stunden sind für diese Einstellung sicherlich sinnvolle Werte. Zweckmäßig wird es meist auch sein, im Menü den Schalter für den Energiesparmodus einzuschalten. Dann wechselt die Kamera sehr schnell in einem Modus, in dem sie nur sehr wenig Strom verbraucht.
Zurück zum Touchscreen. Dieser bietet im Aufnahmemodus einen schnellen Überblick über die eingestellten Parameter und bei diesen lassen sich auch gut und komfortabel alle möglichen Einstellungen vornehmen – das ist Ricoh recht gut gelungen. Weniger gelungen sind die Möglichkeiten im Wiedergabemodus. Da gibt es nämlich lediglich die Möglichkeit, den Bildausschnitt innerhalb der Aufnahme zu wählen. Ein Hineinzoomen in die Aufnahme, etwa um ein paar Details anzuschauen oder die Qualität zu kontrollieren, ist nicht vorgesehen.
Steigt man etwas tiefer in die Bedienung ein, ist diese nicht immer eine Freude. Das Menü ist ähnlich umständlich, wie die Ricoh Theta Apps und es zeigt (anders als die App) noch nicht einmal die aktuell gewählte Einstellung auf den Übersichtsseiten an. Man muss also erstmal "Obergrenze für die ISO-Empfindlichkeit" aufrufen, um zu sehen, dass diese auf z. B. 1.600 eingestellt ist. Das Rätsel um den Menüpunkt mit der Bezeichnung "Einstellungen CT" finden wir auch hier wieder, hatten dies aber schon bei der Theta Z1 gelöst: CT steht für Color Temperature, es geht hier somit um den Farbabgleich, genauer gesagt, ob dieser überhaupt in den Einstellungen auswählbar sein soll oder nicht. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Richtig übel ist die Verbindung mit dem WLAN, d. h. mit dem Router zuhause oder im Büro. Die braucht man grundsätzlich nicht immer, sie ist aber eine gute Idee, z. B. um ein Firmware-Update direkt von der Kamera aus vorzunehmen (was bei unserem Testgerät noch nicht funktionierte) oder um ein Plug-In zu installieren (was bei unserem Testgerät ebenfalls noch nicht funktionierte, vermutlich aber eher, weil der dahinter stehende Plug-In-Store noch fehlerhaft ist). Eine solche Verbindung hat man z. B. bei der Theta Z1 (mangels Touchscreen) über die Smartphone-App gemacht (oder über ein Computerprogramm).
Dafür muss die Theta X in den "Client Modus" versetzt werden und es muss der Zugang zum Internet-Router eingerichtet werden. Dazu muss man das Passwort vom Router über den Touchscreen eingeben. Der ist zwar nicht riesengroß, aber eine halbwegs vernünftige Tastatur hätte sich darauf sicherlich unterbringen lassen, mindestens z. B. eine T9-Tastatur wie Samsung es bei seinen Smartwatches macht, die ein noch viel kleineres Display haben und auf denen dennoch auch ein längeres Passwort recht komfortabel eingegeben werden kann.
Bei der Theta X stellt Ricoh den Anwender bei der Passwort-Eingabe hingegen vor echte Herausforderungen. Ziffer für Ziffer bzw. Buchstabe für Buchstabe müssen auf einem Art Zahlenwalze (wie bei einem Zahlenschloss) eingestellt werden. Zwischendurch muss man diese "Walze" ggf. noch zwischen Ziffern, Buchstaben und Sonderzeichen umschalten und nach jeder erfolgreichen Eingabe eine Stelle weiter schalten. Das ist ein echtes Geduldspiel! Wohl dem, der ein möglichst kurzes WLAN-Passwort hat, das idealerweise aus nur gleichen Ziffern besteht. Zum Glück muss man das für jeden Zugangspunkt nur einmal machen. Das Verbinden und vor allem auch das Wiederverbinden mit dem Router funktionierte ansonsten bei uns sehr gut und zuverlässig.
Fotos mit der Theta X
Nun aber zum Entscheidenden, dem Fotografieren und Filmen mit der Ricoh Theta X. Die Kamera nutzt zwei kleine, hochauflösende Bildsensoren, wie sie heute häufig in Smartphones zum Einsatz kommen. Damit werden Panoramafotos mit 60,5 Megapixel erzeugt. Ricoh bezeichnet diese Auflösung als 11K-Fotos, abgeleitet aus den Videoauflösungen (4K, 5,7K usw.), die jeweils die Breite der Bilder angeben. Die Fotos sind entsprechend 11.008 Pixel breit und haben, wie bei vollsphärischen, equirektangular projizierten Aufnahmen üblich, genau die Hälfte davon als Höhe, also 5.504 Pixel. Das ergibt, wie gesagt, stolze 60,5 Megapixel. Als Standardauflösung ist "5,5K" eingestellt, also genau die Hälfte der Breite und die Hälfte der Höhe- Das sind gut 15 Megapixel, was ungefähr in der Größenordnung ist, was die früheren kleineren Theta-Modelle (z. B. Theta V) brachten. Dies ist aber die "runtergerechnete" Bildgröße, die aber bei solch sehr hoch auflösenden Bildsensoren auch bei Smartphones oft standardmäßig genommen wird, weil die Bilder von der Größe her besser handhabbar sind und in 100-Prozent-Darstellung auch ansehnlicher sind.
Mit "ansehnlicher" meine ich, dass Fotos aus Kameras mit sehr vielen Pixeln aus sehr kleinen Bildsensoren generell nicht wirklich gut aussehen. Wenn man in diese weit reinzoomt, werden starke Artefekte sichtbar. Die Bilder wirken durch intensivem Einsatz von Rauschunterdrückung und Bildaufbereitung eher wie ein Gemälde als wie ein Foto. Das gilt aber speziell für die 100-Prozent-Ansicht und Vergrößerungen darüber hinaus. Sobald das Bild kleiner angezeigt wird, was ja meist der Fall ist, außer man schaut nur einen kleinen Bildausschnitt an, verschwindet der Effekt. Bei unserem Beispielbild im Panorama-Viewer blickt man schon im Grunde gar nicht auf die Original-Bilddaten, sondern diese werden für die Darstellung im Panoramaviewer neu "projiziert". Sehen kann man die Artefakte, von denen ich spreche, dennoch sehr gut auch in unserem Wassermühlen-Testbild, beispielsweise im Himmel oder den gerade am Fußgängerüberweg vorbeifahrenden PKW oder im Gebäude weiter rechts davon. Da ist die Hauswand, die eigentlich horizontale Streifen hat, stark "rauschunterdrückt" und wird in großen Teilen zu einer weißen Fläche, ebenso der kleinteilig gepflasterte Fußweg, den die Rauschunterdrückung gnadenlos glattbügelt.
Dennoch enthalten die 60-Megapixel-Fotos effektiv mehr Details als die 15-Megapixel-Fotos. Man darf hier zwar keineswegs die vierfache Information erwarten, aber ein bisschen mehr ist tatsächlich drin. Es lässt sich nicht abstreiten, dass die Fotos der Theta X mehr Details enthalten und in unserem Panorama-Viewer beispielsweise klar besser aussehen als z. B. die Fotos der Theta Z1, auch wenn letztere weitaus homogener und "ehrlicher" aussehen. Wie die Theta X teilweise Details sichtbar macht, z. B. die Schraubenköpfe an den Regulationstoren der Wassermühle oder im Fußgängerüberweg-Schild die einzelnen Streifen – das ist schon klar besser als jede andere Panoramakamera, die wir bislang getestet haben (ausschließlich bezahlbare Modelle bis ca. 1.000 Euro). Die Auflösung mag nicht wirklich "effektiv 60 Megapixel" sein, dafür ist die Bildbearbeitung einfach zu brutal und die Rauschunterdrückung vernichtet zu viele Details. Unterm Strich liegt die Auflösung aber sichtbar über dem, was man sonst derzeit aus solchen Kameras bekommt.
Man sieht auch gut, dass Ricoh wieder einmal sehr gute Objektive gebaut hat, die kaum zu chromatischen Aberrationen neigen (oder diese elektronisch exzellent auskorrigiert sind) und dass die Qualität erstaunlich homogen ist. Natürlich gibt es einen deutlichen Qualitätsunterschied zwischen dem "Sweet Spot", als den beiden Bildteilen, die den Luxus genießen, mit der Mitte von Objektiv und Bildsensor aufgenommen worden zu sein und dem Übergang der beiden Kamerabilder, wo diese zu einem Bild zusammengefügt ("gestitcht") werden und wo das Fisheye-Objektiv ganz am Rand genutzt wird. Aber Ricoh kriegt gerade diesen kritischen Randbereich wirklich gut hin. Praktisch übrigens auch: Die Ricoh Theta X hat ein GPS eingebaut und entsprechend sind alle Fotos direkt mit Koordinaten versehen. Man weiß also später immer, wo diese aufgenommen wurden.
Was Ricoh in der Theta X leider nicht mehr anbietet, sind Raw-Dateien. Frühere Theta-Kameras konnten oft zusätzlich das DNG-Format speichern, also tatsächlich mehr oder weniger die Roh-Bilder der beiden Kamera-Module, als Fisheye-Aufnahmen nebeneinander in einer Datei. Diese Bilder konnte man dann nach belieben "entwickeln" und manuell stitchen. Dadurch bekam man z. B. im Fall der Theta Z1 überhaupt nur eine gute Qualität, während die JPEG-Fotos in unserem Test der Theta Z1 deutlich hinter unseren Erwartungen zurückblieben. Bei der Theta X gibt es nun kein DNG mehr. Das kann man bedauern. Dafür scheint die JPEG-Verarbeitung nahezu das Optimum aus den kleinen, eigentlich zu hoch auflösenden Bildsensoren herauszuholen. Deshalb vermisse ich die DNGs nicht wirklich.