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12 Megapixel in Farbe + 20 Megapixel in Graustufen

Nun zum für uns Wichtigsten, der Kamera. F1,6 Lichtstärke, das ist mal eine Ansage. Die bisher lichtstärksten Smartphone-Kameras hatten F1,7. Das ist kein so großer Unterschied. Aber bei den technisch hochinteressanten Doppelkameras mit Leica-Schriftzug, die Huawei verbaut, hatten wir bislang nur F2,2. Auch wenn diese Zahlen mit ihren Nachkommastellen so wirken, als sei das kein so großer Unterschied: Die Blendenzahl ist ein logarithmischer Wert. Beginnend bei 1 (= 100 % Lichtdurchlässigkeit) bedeutet jeder nächste volle Blendenwert der sogenannten Blendenreihe (1,4, dann 2, gefolgt von 2,8) jeweils 50 Prozent Lichtverlust. Eine Verbesserung der Lichtstärke von F2,2 auf F1,6 entspricht also fast einer Verdoppelung der auf den Sensor fallenden Lichtmenge! In der Praxis heißt das, dass ISO-Werde niedriger und Belichtungszeiten kürzer ausfallen können. Als Rechenbeispiel kann eine Nachtaufnahme dienen, die ich mit dem Huawei Mate 10 Pro gemacht habe. Die Situation hatte wirklich sehr wenig Licht, ausschließlich von Straßenlaternen. Eine Probeaufnahme mit automatischer Belichtung fiel erwartungsgemäß viel zu hell aus und gab die Szene nicht naturgetreu wieder. Deshalb habe eine volle Blende minus-korrigiert (Belichtungskorrektur auf -1). Die Automatik des Mate 10 Pro hat sich dann für eine Belichtungszeit von 1/17 Sekunde entschieden, die ich dank optischen Bildstabilisators gerade noch aus der Hand halten konnte. Die Automatik hat die ISO-Zahl dabei auf moderate ISO 640 eingestellt. Das ist tatsächlich die ideale Kombination für diese Situation. So wenig ISO wie möglich und eine Belichtungszeit, die dank Stabi gerade noch aus der Hand zu fotografieren ist. Aufnahme geglückt!

Einem Huawei P10 oder Mate 9 Pro mit F2,2-Lichtstärke wäre in derselben Situation nichts anderes übrig geblieben als entweder die Belichtungszeit zu verlängern oder die ISO-Zahl hochzusetzen. Eine Belichtungszeit von 1/9 Sekunde hätte theoretisch dasselbe Bildergebnis bringen können, hätte aber trotz optischer Bildstabilisierung bei einer Kleinbildbrennweite von 27 mm keinesfalls mehr aus der Hand fotografiert werden können. Also hätte ein P10 oder Mate 9 Pro wahrscheinlich die Belichtungszeit ebenfalls auf 1/17 s eingestellt, aber die Sensorempfindlichkeit auf eine ISO-Zahl von rechnerisch ISO 1200 hochsetzen müssen, was ganz sicher mehr Rauschen bedeuten würde. Vielleicht wäre auch eine andere Kombination wie 1/15 s oder 1/14 s bei ISO 1000 herausgekommen. Aber ganz sicher wäre unter diesen widrigen Bedingungen ein anderes, weniger gutes Bildergebnis herausgekommen. Gerade bei wenig Umgebungslicht geht einfach nichts über die Lichtstärke des Objektivs und die Größe des Sensors. Letzterer ist bei Smartphones winzig; das lässt sich bei den von den Verbrauchern gewünschten flachen Smartphone-Bauformen nicht ändern. Aber die "Kraft" von zwei Sensoren zu kombinieren, einen davon ohne Farbfilter (und damit schon mal lichtempfindlicher) und dann noch F1,6-Objektive zu verbauen – das ist wirklich eine feine Sache.

  • Bild In der Einstellung "intensive Farben" werden diese wirklich sehr knallig. "Standard" liefert dezentere, immer noch kräftige Farben. Diese Foto entstand mit dem Mate 10 Pro  beim Illustrieren eines Testberichts des Freevision Vilta-M Gimbals. [Foto: MediaNord]

    In der Einstellung "intensive Farben" werden diese wirklich sehr knallig. "Standard" liefert dezentere, immer noch kräftige Farben. Diese Foto entstand mit dem Mate 10 Pro  beim Illustrieren eines Testberichts des Freevision Vilta-M Gimbals. [Foto: MediaNord]

Auch bei günstigeren Bedingungen macht das Huawei Mate 10 Pro natürlich gute Fotos. Die Farben sind von Haus aus schon recht kräftig, ich habe, wie ich es meistens mache, dazu noch "kräftige Farben" eingestellt, aber das ist im Ergebnis dann wirklich auch für meinen Geschmack schon zu viel des Guten. Also lieber auf "Standard" lassen. Die Kontraste und der Belichtungsumfang sind für ein Smartphone erstaunlich gut. Ansonsten ist die Huawei-Kamera-App mit ihrer stylischen Leica-Schrift nach wie vor für mich die beste Foto-App, die es gibt. Übersichtlich, aber alle Pro-Funktonen sind schnell auf dem Bildschirm ausklappbar und alles ist wirklich sehr schön umgesetzt. Für die Bokeh-Fans gibt es mit der Funktion "Große Blende" eine Simulation, die bis zur Leica-Noctilux-Blende F0,95 reicht. Der Effekt funktioniert je nach Motivsituation mal mehr, mal weniger gut, ist aber von derlei Lösungen klar eine der besseren. Im Grunde kann man sagen: Die neue Doppelkamera ist generell genauso gut wie das Vorgängermodell in dem Mate 9 Pro und P10, außer sie kann bei wenig Umgebungslicht den Vorteil der deutlich lichtstärkeren Objektive ausspielen – dann ist das Mate 10 Pro haushoch überlegen und liefert noch Available-Light-Fotos, wo andere Smartphones mehr oder weniger aufgeben müssen.

Im Testlabor

Nachdem der Test bis hierhin eigentlich schon fertig war, haben wir das Huawei Mate 10 doch noch bei digitalkamera.de ins Testlabor geschickt. Das machen wir nicht bei jedem Smartphone, das wir uns anschauen, aber in diesem Fall interessierten mich doch ein paar Details. Und anders als beim Huawei P10 und Mate 9, die wir (wie üblich) nur in der höchsten Auflösung gemessen haben, wollte ich diesmal wissen: Was bringt eigentlich die 20-Megapixel-Auflösung, die man beim Fotografieren einstellen kann? Default-mäßig ist die Kamera-App nämlich auf 12 Megapixel eingestellt und das kann ja durchaus viel Sinn machen, weil die Farbkamera ohnehin nur 12 Megapixel hat. Interessant ist aber natürlich die Frage, was bei der 20-Megapixel-Einstellung dann am Ende wirklich noch mehr herauskommt.

  • Bild Die Standard-Kamera-App des Huawei Mate 10 Pro ist hervorragend gelungen. Hier sind die zusätzlichen Einstellmöglichkeiten für den Pro-Modus eingeblendet. [Foto: MediaNord]

    Die Standard-Kamera-App des Huawei Mate 10 Pro ist hervorragend gelungen. Hier sind die zusätzlichen Einstellmöglichkeiten für den Pro-Modus eingeblendet. [Foto: MediaNord]

  • Bild Dass das Huawei Mate 10 Pro, wie hier gezeigt, ein Gesicht erkennt (orangener Rahmen) und deshalb automatisch den Porträtmodus aktiviert (Personen-Symbol unten rechts) hat wenig mit künstlicher Intelligenz zu tun. Sowas ist seit langem Standard. [Foto: MediaNord]

    Dass das Huawei Mate 10 Pro, wie hier gezeigt, ein Gesicht erkennt (orangener Rahmen) und deshalb automatisch den Porträtmodus aktiviert (Personen-Symbol unten rechts) hat wenig mit künstlicher Intelligenz zu tun. Sowas ist seit langem Standard. [Foto: MediaNord]

  • Bild Ein Swipe von links zeigt die verschiedenen Modi, aus denen du wählen kannst. Darunter auch HDR, Panorama oder Nachtaufname. Die Beispielfotos entstanden im ganz normalen Foto-Modus (nicht mit "Nachtaufnahme") mit manueller Justage. [Foto: MediaNord]

    Ein Swipe von links zeigt die verschiedenen Modi, aus denen du wählen kannst. Darunter auch HDR, Panorama oder Nachtaufname. Die Beispielfotos entstanden im ganz normalen Foto-Modus (nicht mit "Nachtaufnahme") mit manueller Justage. [Foto: MediaNord]

  • Bild Ein Swipe von rechts ruft die Einstellungen auf. Etwas schade finde ich, dass bei den Auflösungen keine 16:9- und 3:2-Formate wählbar sind, sondern nur 4:3 (das native Sensorformat), 18:9 (das Format des Smartphone-Displays) und 1:1 (quadratisch). [Foto: MediaNord]

    Ein Swipe von rechts ruft die Einstellungen auf. Etwas schade finde ich, dass bei den Auflösungen keine 16:9- und 3:2-Formate wählbar sind, sondern nur 4:3 (das native Sensorformat), 18:9 (das Format des Smartphone-Displays) und 1:1 (quadratisch). [Foto: MediaNord]

Und es ist tatsächlich kaum mehr, was bei der 20-Megapixel-Einstellung in der fertigen JPEG-Datei landet. Zwar ist die Datei auf der Speicherkarte gut ein Viertel größer als dasselbe Foto bei 12 Megapixeln, aber schon die Messung der Linienpaare pro Millimeter besagt, dass in der 20-Megapixel-Version wirklich nur unwesentlich mehr Auflösung drin steckt. Und die visuelle Betrachtung unserer Testaufnahmen bestätigt die Messung hundertprozentig. Man tut sich wirklich sehr, sehr schwer irgendwo im 20-Megapixel-Bild mehr Details zu entdecken als in der 12-Megapixel-Version. Weder lässt sich eine zusätzliche Zeile im Augenoptiker-Testchart lesen noch ist in den Kleiderstoffen der Barbie-Puppen die Struktur detaillierter zu erkennen oder deren Haare besser aufgelöst. Im Grunde kann man sagen: Die Kombination des 12-Megapixel-RGB-Sensors mit dem 20-Megapixel-Graustufen-Sensor ergibt eine sehr gute 12-Megapixel-Kamera, aber keine gute 20-Megapixel-Kamera. Oder anders gesagt: Der 20-Megapixel-Sensor mag gut dazu geeignet sein, den 12-Megapixel-Sensor bei wenig Licht zu unterstützen und vielleicht auch zur Verbesserung der Details sehr hilfreich sein. Aber am Ende reicht die Qualität der beiden zusammengerechneten Fotos doch nur für ein wirklich exzellentes 12-Megapixel-Foto. Lass die Fotoauflösung also am besten auf 12 Megapixel, außer du hast gute Gründe dafür, das umzustellen.

  • Bild Das Huawei Mate 10 Pro in den Farben Diamond Black, Midnight Blue und Mocha Brown. [Foto: Huawei]

    Das Huawei Mate 10 Pro in den Farben Diamond Black, Midnight Blue und Mocha Brown. [Foto: Huawei]

Die Tests von DxOMark bestätigen unsere Ergebnisse übrigens. Blickt man dort nur auf die Abteilung "Photo" (also ohne Video), dann erreicht das Mate 10 Pro satte 100 Punkte auf der nach oben offenen DxOMark-Skala. Diesen Wert übertrifft nur das Apple iPhone X um einen Punkt. Schaut man sich das detaillierter an, dann kann Apple mit der Doppelkamera mit zwei Brennweiten natürlich im Bereich Zoom etliche Punkte mehr holen (wir hingegen betrachten das Thema "Zoom" überhaupt nicht bei einem Smartphone, das keinen Zoom hat). Viele Punkte hat dem Huawei Mate 10 Pro dort der Bereich "Artefakte" gekostet, denn im DxOMark-Test traten Probleme mit Blockbildung in homogenen Flächen (z. B. im Himmel) auf. Dieses Phänomen konnten ich in unserem Test absolut nicht beobachten. Mit unserem Test sind wir aber auch später dran und ich habe das Mate 10 Pro gleich zu Beginn des Tests auf die aktuellste Firmware upgedatet. Vielleicht ist also das Problem, das bei DxO im Grunde dem Mate 10 Pro ein noch besseres Abschneiden verhagelt hat, mittlerweile behoben. Interessant ist übrigens generell das exzellente Abschneiden des Pixel 2 Smartphones von Google, das qualitativ auf etwa gleichem Niveau liegen soll, obwohl es nur eine normale Single-Kamera hat. Auf jeden Falls kannst du sicher davon ausgehen, dass das Mate 10 eine der derzeit drei besten Smartphone-Kameras besitzt – wahrscheinlich sogar die beste.

Fazit

Das Huawei Mate 10 Pro hinterlässt einen gemischten Eindruck. Das eigentlich durchaus hochwertige Gehäuse ist dermaßen glatt und rutschig, dass es ohne den beiliegenden Überzug eigentlich nicht zu gebrauchen ist. Mit dieser Schutzhülle ist dann allerdings die Schönheit und die hochwertige Haptik weitgehend dahin. Fast alle technischen Eigenschaften sind tadellos. Allenfalls das Display könnte in diese Preisklasse noch höher auflösend sein, um mit der Konkurrenz mitzuhalten und in VR-Brillen schärfere Bilder zu erzeugen. Dass der Hersteller ohne nachvollziehbaren Grund den Kopfhöreranschluss wegrationalisiert hat, dürfe den einen oder anderen potenziellen Kunden abschrecken. Erste Sahne ist allerdings die Doppelkamera, die hier erstmals F1,6-Lichtstärke hat und im Low-Light-Bereich derzeit ohne Konkurrenz ist. Aber auch bei normalen Lichtverhältnissen überzeugt die Kombination aus 20-Megapixel-Graustufen- und 12-Megapixel-Farbkamera mit sehr guten Bildern und auch die Kamera-App gehört zum Besten, was es auf dem Markt gibt.

Vorteile

  • derzeit beste Kamera aller Smartphones
  • herausragende Low-Light-Fähigkeiten dank Doppelkamera mit F1,6-Blende
  • sehr gute Standard-Kamera-App
  • auch sonst sehr hochwertige Technik verbaut
  • Dual-SIM-Version erhältich
  • lange Akkulaufzeit

Nachteile

  • extrem glattes, rutschiges Gehäuse (ohne Schutzhülle nicht sicher zu händeln)
  • kein Kopfhöreranschluss, kein Adapter im Lieferumfang
  • Display könnte in diese Preisklasse noch etwas mehr Auflösung bieten (relevant vor allem mit VR-Brillen)