Sicherlich ist ProDrenalin (Testbericht unten verlinkt) dem teuren Mercalli-Studio nachempfunden (und nicht umgekehrt), aber wir hatten ja zuvor die kleinere Version im Test und werden deshalb beim Anblick von Mercalli V4 an die Fünfzig-Euro-Software ProDrenalin zurückerinnert: Die gleiche, trist graue, trotz weniger Elemente unübersichtliche Benutzeroberfläche und auch die nervig blinkende Import-Fläche ist wieder da. Mittig sitzt die Vorschauanzeige, unten findest du eine Zeitleiste, rechts ein paar Bildeinstellungen und in der Kopfleiste sind die entscheidenden Korrektur-Assistenten angebracht. „Neu“ sind die als „Armaturen“ betitelten Schaltflächen, auf denen dir unter anderem die im jeweiligen Frame vorgenommenen Veränderungen angezeigt werden.
Erste Schritte und CMOS-Korrektur
Importierst du einen Clip (Mercalli akzeptiert im Gegensatz zu ProDrenalin die meisten gängigen Videoformate) taucht er auf dem Vorschaumonitor und in der Zeitleiste auf, die zu dem Zeitpunkt noch recht unspektakulär aussieht. Mercalli verlangt nun, das Video zu analysieren. Du solltest dein Material jedoch zuvor mit dem Intervall-Trimmer auf den wichtigsten Ausschnitt kürzen, um alle folgenden Rechenzeiten möglichst gering zu halten, und eventuell das Fischauge entzerren lassen (falls gewünscht oder notwendig). Für die Entzerrung hat sich ProDAD mit einigen Actioncam-Herstellern zusammengetan, um die Resultate bestmöglich ausfallen zu lassen. Wenn du eine gängige Kamera besitzt, kannst du also das dazugehörige Profil aus einer Liste auswählen. Verfügst du über eine "exotische" Actioncam (beispielsweise von SJCam), bleibt dir nichts anderes übrig als "Universell" mit dazugehörigem Bildwinkel anzuklicken. Außerdem solltest du dir vorher überlegen, welche CMOS-Fehler beseitigt werden sollen. CMOS-Fehler könnten dir beispielsweise als Schlieren in Quadrocopter-Videos bereits begegnet sein. Es handelt sich dabei um Bildfehler, die nicht von der Kamerabewegung selbst herrühren, sondern vom Sensor verursacht werden, weshalb sie auch nicht wie klassische Verwackelungen aussehen. Viel mehr gleichen sie Schlieren und einem Wabern – das Bild wölbt sich stellenweise und/oder ist mittendrin aus unerklärlichen Gründen verzerrt. Werden diese Fehler als erstes eliminiert, muss das Programm weniger zusätzliche Stabilisierungsarbeit leisten und kann mehr Bildqualität vor eventuellen Verlusten bewahren. Du solltest vor Beginn der Bereinigung also ungefähr wissen, welche Fehler wie intensiv gesucht werden sollen.
Wenn du anschließend die Analyse startest, werden zunächst CMOS-Fehler gesucht und ausgebügelt. Zum Schluss werden die eigentlichen Wackler herausgefiltert. Nach der Analyse werden dir in der Zeitleiste diverse Kurven angezeigt. Hier visualisiert Mercalli farblich und graphisch, welche Störungen es in deinem Video gefunden hat und wie stark sich diese auswirken. Das Programm registriert Verschiebungen in alle Richtungen sowie Neigung und eben erwähnte CMOS-Fehler. Die Schnell-Variante der CMOS-Korrektur war bei unseren Quadrocopter-Flügen leider nicht sehr erfolgreich: Das Wabern und Zittern, von hochfrequentierten Erschütterungen verursacht, war auch nach der Korrektur noch viel zu deutlich zu sehen. Dies ist allerdings ein normaler Zustand beim ersten Versuch. Du kannst die Analyse beliebig oft wiederholen, bis du die richtigen Einstellungen gefunden hast.
Wir haben zum Äußersten gegriffen und die Sensor-Korrektur im Modus „Intensive Reparatur“ ein weiteres Mal durchgeführt. Danach herrschte (zumindest im Vergleich zum Original) wirklich Ruhe – nur leichtes Flimmern am Bildrand ist noch zu sehen, alle anderen Fehler sind verschwunden. Die Bearbeitungsprozedur kann dabei übrigens viel Zeit einnehmen. Mercalli bedient sich jedoch flexibel (und nicht eben bescheiden) an den Ressourcen, sodass die Rechendauer allein von deiner Hardware abhängt – dies aber auch nur in der SAL-Edition (Standalone), als Plug-In in anderen Programmen zeigt sich die hohe Leistungsfähigkeit aufgrund technischer Limitationen nicht. Darum wurde die Mercalli-V2-Ausgabe (ein Plugin z. B. für Adobe-Software) auch nicht weiterentwickelt.
Bildstabilisierung
Ohne lange Berechnungen eine wahre Wucht ist hingegen der Bildstabilisator: Ganze Schwenks kannst du so perfekt ausbügeln, dass keine Spur mehr von ihnen bleibt. Auch extreme Erschütterungen werden, wenn auch nicht komplett verschwunden, auf ein sehr ertragbares Niveau reduziert. Hinzu kommt, dass du über die Armaturen und Einstellungen (rechte Seite) regulieren kannst, welche Einzelaspekte eigentlich korrigiert bzw. vernachlässigt werden sollen – z. B. Y-Achse, X-Achse oder Neigung. Auch hast du die Möglichkeit, dem Programm klare Grenzen zu setzen: Über „Rand vermeiden“ bestimmst du, wie viel vom Bildrand maximal weggeschnitten werden darf (mit sofortigen Auswirkungen auf das Resultat) und mit „Kameraschwenk glätten“ regulierst du, welche Bewegungen wie sanft geglättet werden sollen. Fast alle Aspekte kannst du dir zudem einzeln in der Zeitleiste anzeigen lassen, um zu erfahren, wie sinnvoll oder ausschlaggebend die Anwendung selbiger ist. Für die erstmalige Stabilisationsberechnung hast du außerdem die Gelegenheit, alternativ zu „Universelle Kamera“ eine bestimmte Vorgabe (gleitend, fest montiert, Sportkamera etc.) auszuwählen.
Änderungen an der Stabilisation kannst du übrigens vornehmen, noch während die Vorschau läuft. Alle Einstellungen werden in Echtzeit gerendert und (relativ) flüssig angezeigt. Auch bietet dir das Programm die äußerst praktische Funktion, Ergebnis und Ausgangsmaterial zu vergleichen. Das Bild wird hierfür wahlweise waagerecht oder senkrecht geteilt (je eine Hälfte vorher bzw. nachher). In dieser getrennten Ansicht kannst du deine Clips anschließend auch exportieren. Bei jenem Export stehen dir erfreulicherweise neuerdings mehrere Formate zur Wahl – eine Möglichkeit, den Dateinamen zu ändern, wurde jedoch nicht implementiert, was nicht nachvollziehbar ist. Schließlich kannst du nun auch mehrere Clips aneinanderfügen, sodass spätestens in dem Fall eine Umbenennung nur logisch wäre. Dafür haben Im- und Export eine volle UltraHD-Unterstützung und auch die Vorschau zeigt 2K/4K-Clips (relativ) flüssig an – das ist mehr, als mancher Mediaplayer leistet und selbst andere Schnittprogramme scheitern häufig daran, UHD-Videos ohne Proxydateien konsequent durchzurendern.
Fazit
Hässlich, aber enorm leistungsfähig: Wenn du von den Schwächen der Benutzeroberfläche und Bedienung absiehst, liegt vor dir ein starkes Werkzeug, um verwackelten Videos effektiv beizukommen. Die in ProDrenalin bitterlich vermissten Einstellungsmöglichkeiten für den Bildstabilisator sind hier alle vorhanden, wenn auch teilweise ein Schieberegler anstelle von „an/aus“ sicherlich nicht geschadet hätte. Insbesondere die CMOS-Korrekturen sind ein interessantes Feature, das erfreulicherweise mit der Funktion „Intensive Reparatur“ in vollem Umfang ausgereizt werden kann. 299 Euro (UVP) erscheinen uns für die gebotene Leistung angemessen. Für Unentschlossene gibt es auch eine voll funktionsfähige Testversion auf der ProDAD-Website.
Vorteile
- Einfache Bedienung
- Sehr gute Resultate
- Rechnet verhältnismäßig schnell
Nachteile
- Unschöne Benutzeroberfläche