Die juristische Verwertbarkeit von Carcam-Aufnahmen war nie klar, denn diese liegt im Ermessen des Richters. Ob also eine Carcam (auch Dashcam, von Dashboard Carmera, Armaturenbrett-Kamera abgeleitet) im Falle eines dokumentierten Unfalls vor Gericht eine Relevanz hat, ist noch eine ganz andere Seite, um die es hier nicht gehen soll. Die Frage vor dem Kauf oder der Montage ist ja zunächst: Darf ich das überhaupt? Permanent aus dem Auto heraus filmen. In Russland ist das mittlerweile offenbar durchaus üblich, um sich auf diese Weise – mittels Videobeweis – vor Willkühr und Korruption der Behörden zu schützen oder im Falle eines Unfalls etwas gegen den Unfallgegner in der Hand zu haben. Ein Nebeneffekt ist, dass im Internet allerlei lustiger oder spektakulärer Videos auftauchen, die ohne die ständige Nutzung von Carcams wahrscheinlich nie entstanden wären.
In Europa aber ruft eine mögliche ständige Filmerei Datenschützer auf den Plan. Bislang sah die Sache insgesamt noch ganz gut aus. "Rechtlich ist das Filmen im Straßenverkehr nicht verboten, solange die Aufnahmen privaten Zwecken dienen oder dazu verwendet werden, einen Unfallhergang zu dokumentieren." schreibt der ADAC in seiner Vereinszeitschrift Ausgabe 8/2013. Und weiter "Wird das Material aber öffentlich zugänglich gemacht, etwa indem es ins Internet gestellt wird, ohne Personen und Nummernschilder unkenntlich zu machen, wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt." schreibt der ADAC. Dies würde aber wohl voraussetzen, dass überhaupt eine Person erkennbar abgebildet wird. Die beiden von uns getesteten Carcams waren allerdings eher nicht dazu in der Lage aus dem fahrenden Auto heraus Personen, die am Straßenrand zu sehen waren, in einer ausreichenden Qualität abzubilden, dass von einer Erkennbarkeit die Rede wäre. Anders sieht es aus, wenn sich das Geschehen groß genug direkt vor dem Auto abpielt, beispielsweise bei einem Ampel-Stopp. Aber die Veröffentlichung der Videos ist ja normalerweise nicht der Hauptzweck, sondern eine mögliche Unfalldokumentation. Soweit so gut, zumindst in Deutschland und im August 2013.
Aktuell bläst allerdings ein schärferer Wind. Das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht (BayLDA) will Kameras, die permanent den Verkehr aufzeichnen, aus Datenschutzgründen verbieten lassen. Ein entsprechendes Verfahren läuft, das Urteil wir in den nächsten Monaten erwartet. Seit Ende Februar 2014 gibt es einen Beschluss der Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich (Düsseldorfer Kreis am 25./26. Februar 2014) mit der Überschrift "Unzulässigkeit von Videoüberwachung aus Fahrzeugen (sog. Dashcams)" (PDF-Datei siehe weiterführenden Link). Darin steht zwar auch ein milder Satz, aus dem Rollei, Marktführer bei Carcams/Dashcams in Europa, die Zulässigkeit ableitet: "Die Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder für den Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich machen darauf aufmerksam, dass der Einsatz solcher Kameras – jedenfalls sofern dieser nicht ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten erfolgt – datenschutzrechtlich unzulässig ist." Hier geht es ja um eine Aufzeichnung im Rahmen einer persönlichen Tätigkeit (der privaten Autofahrt). Oder doch nicht?
Ein paar Absätze wird das Dokument konkreter. "Das informationelle Selbstbestimmungsrecht umfasst das Recht des Einzelnen, sich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen, ohne befürchten zu müssen, ungewollt und anlasslos zum Objekt einer Videoüberwachung
gemacht zu werden. Dashcams zeichnen den Verkehr sowie Personen, die sich in der Nähe einer Straße aufhalten, ohne Anlass und permanent auf, so dass eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern betroffen ist, die sämtlich unter einen Generalverdacht gestellt werden, ohne dass sie von der Überwachung Kenntnis erlangen oder sich dieser entziehen können. Das Interesse des Autofahrers, für den eher theoretischen Fall eines Verkehrsunfalls Videoaufnahmen als Beweismittel zur Hand zu haben, kann diesen gravierenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Verkehrsteilnehmer nicht rechtfertigen." Es folgt der Hinweis, dass selbst die Polizei Videoüberwachung nur im Fall eines konkreten Anfangsverdachts einsetzen darf und das somit sonstige Stellen erst recht nicht für sich beanspruchen können, den öffentlichen Verkehrsraum anlass- und schrankenlos mittels Kameras zu überwachen.
Bereits ein Jahr älter (vom 26./27. Februar 2013) ist der Beschluss mit dem Titel "Videoüberwachung in und an Taxis". Demnach ist die Überwachtung mittels Innenkameras bei Einhaltung bestimmter Rahmenbedingungen zulässig. Zu Außenkameras steht dort jedoch: "Die Voraussetzungen des § 6b Abs. 1, Abs. 3 BDSG sind bei Außenkameras, mit denen der öffentliche Verkehrsraum – etwa zwecks vorsorglicher Beweis sichernder Dokumentation für den Fall eines Schadensereignisses – einer Überwachung unterzogen werden soll, nicht erfüllt. Unerheblich ist dabei, ob die Kameras mobil sind und eventuell nur die nähere Umgebung des Taxis erfassen. Mit derartigen Kameras sollen gezielt personenbezogene Daten (Bilder, auf denen Personen,
Kfz-Kennzeichen, Aufschriften auf Fahrzeugen etc. erkennbar sind) erhoben werden, um später anhand der Aufnahmen beispielsweise Verantwortlichkeiten von Verkehrsteilnehmern und Haftungsfragen klären zu können. Das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung umfasst jedoch die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit frei und ungezwungen zu bewegen, ohne befürchten zu müssen, ungewollt und anlasslos zum Objekt einer Videoüberwachung gemacht zu werden. Eine Rechtsgrundlage für diese Datenerhebung gibt es nicht. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht, wenn § 28 BDSG zugrunde gelegt wird. Die Ausstattung von Taxis mit "Unfallkameras", wie sie von Versicherungsunternehmen vorgeschlagen wird, ist daher unzulässig."
Im Grunde geht es also darum, dass die schutzwürdigen Interessen derjenigen, die da ungefragt permanent gefilmt werden höher einzuschätzen sind als die Rechte des Autofahrer im insgesamt sehr unwahrscheinlichen Fall eines Unfalls. Das konkrete Problem scheint in der Art und Weise zu liegen, wie Carcams arbeiten:
- permanent aufzeichnend,
- mit einer Speicherung, also relativ dauerhaft,
- in einer Qualität, die theoretisch Nummernschilder und Personen erkennbar abbilden.
Wäre nur eine der Faktoren nicht erfüllt, gäbe es wohl kein Problem, so aber ist es eines. Man darf gespannt sein, ob und wie die Rechtsprechung die Anforderungen präzisieren wird. Möglicherweise ließen sich dann für die Hersteller von Dashcams Bedingungen ableiten, unter denen Dashkams dennoch arbeiten dürfen. Beispiele:
- nicht permanent aufzeichnend, sondern z. B. nur auf Sprachbefehl für max. 1 Minute,
- nur kurzzeitig speichernd, beispielsweise nur die letzte Stunde,
- nur im fahrenden Auto, nicht im stehenden Fahrzeug,
- mit einer automatischen "Verpixelung" von Gesichtern,
- mit einer automatischen "Verpixelung" von Nummernschildern,
- mit einer so schlechten Qualität, dass Nummernschilder und Personen nicht erkennbar sind.
All das ist technisch grundsätzlich kein Problem. Die "Verpixelung" in Echtzeit in einem Video würde jedoch eine Menge Rechenleistung erfordern, die zumindst heute eine Carcam teuer machen würde. Wir sind jedenfalls gespannt, wie es in der Sache weitergeht.
Hier noch der versprochene Blick über die Grenzen hinweg (Quelle: ADAC-Website, 23. April 2014):
- Untersagt ist die Verwendung in Belgien, Luxemburg, Östereich und Portugal.
- Problematisch aufgrund von datenschutzrechtliche Bedenken (wie in Deutschland): Schweiz, Schweden.
- Zulässig ist die Verwendung in Bosnien-Herzegowina, Dänemark, Frankreich (solange keine Sichtbeeinträchtigung), Großbritannien, Italien, Malta, Niederlande, Norwegen, Serbien und Spanien.
Anmerkung
Zu Frankreich geht das Gerücht um, dass Carcams dort verboten seien. Dafür habe ich keinen Beleg gefunden. Der ADAC schreibt, dass es erlaubt sei.
Update 2014-05-16
Da diese Seite interessanterweise zu den meist gelesenen Seiten auf digitalEyes.de gehört, bleiben wir am Ball und aktualisieren sie, wenn wir irgendwo etwas Neues zum Thema finden. Gestern schrieb Udo Vetter, Betreiber von lawblog.de auf der Website der ARAG (leider kein Permalink zu dem Artikel) zu dem Thema: "Gut möglich also, dass die Behörden bald gegen Dashcam-Nutzer vorgehen. Etwa, wenn die Dashcam bei einer Polizeikontrolle auffällt. Allerdings dürfte – wegen der noch unsicheren Rechtslage, ob tatsächlich ein Datenschutzverstoß vorliegt – derzeit höchstens ein Bußgeld von maximal 100 Euro drohen. Dagegen können Betroffene sich dann vor Gericht wehren, so dass nach diesen „Musterprozessen“ etwas Licht ins juristische Dunkel käme."