Hinter der Marke Insta360 steckt das 2014 gegründete Unternehmen Shenzhen Arashi Vision Co. mit Sitz in Shenzhen, China. Es gibt wohl keinen anderen Hersteller, der ein derart breites Sortiment an Panorama-Kameras bietet, vom winzigen Einsteigermodell fürs schmale Budget bis zu Achtäugigen-Profi-Boliden für 17.000 Euro. Mit der One R verlässt Insta360 ein Stück weit sein vertrautes Terrain der reinrassigen 360-Grad-Kameras, das sogar den Markennamen mit prägt, und wagt sich in den Bereich der normalen "einäugigen" Actioncams vor, ohne dabei das 360-Grad-Thema zu vernachlässigen.
Die Insta360 One R ist eine modulare Kamera bestehend aus Akku-Basis (das rote Ding unten), dem Aufzeichnungs- und Bedienmodul (mit Touchscreen, Speicherkartensteckplatz und zwei Bedientasten) und insgesamt wahlweise drei verschiedenen Kameramodulen: eine zweiäugige 360-Grad-Kameara (durchaus spannend), eine "normale" 4K-Actioncam (unserer Meinung nach eher nicht so spannend) und ein Actioncam-Kameramodul mit großem 1-Zoll-Sensor "in Zusammenarbeit mit Leica" (extrem spannend). Die Konfiguration aus Akku-Basis, Aufzeichnungs-/Bedien-Modul und Kameramodul wird zusammengesteckt und rastet gegeneinander ein, alle elektrischen Kontakte sind dabei mit Dichtungen versehen. Anschließend muss die Kombination aber immer in den Halterahmen eingesetzt werden, andernfalls ist das Ganze nicht uneingeschränkt robust und auch nicht garantiert wasserdicht (bis 10 Meter). In diesem Test geht es speziell um die Konfiguration mit dem 1-Zoll-Sensor-Kameramodul.
1-Zoll-Sensor-Actioncam Bei Bildsensoren gilt: Die Größe steht direkt in Relation zur Bildqualität. Natürlich gibt es innerhalb der Kameras mit derselben Sensorgröße Qualitätsunterschiede, aber nahezu nie gehen diese so weit, dass sie in die benachbarten Sensorgrößenklassen hineinreichen. Eine Kamera mit 1-Zoll-Sensor hat immer das Zeug, wesentlich bessere Bilder zu liefern als eine Kamera mit deutlich kleinerem Sensor (wie beispielsweise in Smartphones oder Actioncams). Das gilt nicht nur bei schlechten Lichtbedingungen (dann aber erst recht), sondern jederzeit. Auch die schlechteste Premium-Kompaktkamera mit 1-Zoll-Sensor ist der besten Kompaktkamera mit kleinerem Sensor bei der Bildqualität überlegen. Nur eine Kamera mit noch größerem Sensor (Micro-Four-Thirds- oder APS-C-Größe) ist dann nochmals besser. Das sieht man deutlich z. B. bei den Drohnen, die es aktuell meist mit kleinen, zunehmend aber auch mit größeren Bildsensoren gibt: Die Drohnen mit der wirklich guten Bildqualität sind ausschließlich die mit den größeren Bildsensoren.
Die Insta360 One R ist bereits eine Weile auf dem Markt (aber immer noch topaktuell). Unser Test mit dem 360-Grad-Modul haben wir schon im Februar 2020 veröffentlicht. Das 1-Inch-Sensor-Weitwinkel-Kameramodul wurde erst einige Zeit später fertig und liegt bei uns nach ersten schnellen Probeaufnahmen ehrlich gesagt schon ziemlich lange in der Schublade. Der Grund dafür ist, dass wir von diesem Produkt keinen "Indoor-Test" machen wollten, sondern die Kamera über Wochen ausgiebig draußen und in Action-Situationen ausprobieren und dies auch mit diversen unterschiedlichen Auflösungen und Einstellungen.
In dieser Zeit hat Insta360 die Kamera über Firmware-Updates munter weiterentwickelt und wirklich gravierend verbessert. Einerseits sind ganz neue Funktionen, wie der 45°- und 360°-Horizontausgleich hinzugekommen, andererseits gab es auch Verbesserungen beim Datei-Handling: Die weitgehende Abkehr von spezifischen INSV-Dateiendungen zu üblichen MP4-Dateien, die problemlos mit jedem Programm angeschaut und bearbeitet werden können. Die proprietäre ISNV-Datenendungen spielen jetzt noch nur im Betrieb mit dem 360-Grad-Kameramodul eine Rolle, wo sie auch Sinn ergeben, da die Dateien sowieso immer verarbeitet werden müssen. Das letzte große Firmware-Update stammt vom Mai 2021.
Keine Webcam-Funktion Die WebCam-Funktion, die mit 4K Wide Angle Mod and Dual-lens 360 Mod funktioniert, steht für das 1-Inch Mod leider nicht zur Verfügung. Das ist besonders schade, denn gerade die 1-Zoll-Sensor-Kamera hätte als Webcam echte Vorteile gegenüber einer preisgünstigen Standard-Webcam.
Zum Zeitpunkt dieses Tests kostet die Insta360 One R betriebsbereit in der 1-Inch-Edition (also ohne die anderen Kameramodule) knapp 600 Euro. Für rund 170 Euro mehr (768 Euro) gibt es die "Expert Edition Standard", die dann zusätzlich das 360-Grad-Kamera-Modul enthält (sicherlich eine schöne Ergänzung). Für die "Trio-Edition" mit allen drei Kameramodulen (also inklusive des normalen, kleinen 4K-Weitwinkel-Moduls) sind 817 Euro fällig. Das ist zwar wiederum nur ein kleiner Aufpreis, aber ehrlich gesagt wüsste ich nicht, wozu ich das normale Weitwinkel-Modul mit dem kleinen Sensor verwenden sollte, wenn ich das 1-Zoll-Sensor-Kameramodul habe (nur als Webcam ist der Aufpreis dann auch wieder zu hoch). Das Geld würde ich ggf. in sinnvolles Zubehör investieren, wie beispielsweise einen zweiten Akku.
Das modulare Konzept hat durchaus seine Vor- und seine Nachteile. Dass man mit einem Kamerapaket verschiedene Anwendungssituationen meistern kann, ist natürlich toll. Die Nachteile sind aber auch nicht ohne. Beispielsweise ist der Monitor extrem klein, denn es gibt ja keine große durchgängige Rückwand, an der der Hersteller einen größeren Monitor hätte anbauen können. Großer Vorteil dadurch immerhin: Das Kamera-Modul kann einfach umgedreht montiert werden, sodass man dann einen Selfie-Monitor hat. Das können sonst nur Actioncams, die Bildschirme sowohl vorne als auch hinten haben. Dann ist deren Selfie-Monitor auch sehr klein, der hintere Monitor aber mindestens doppelt so groß wie der von der Insta360 One R. Bei der 1-Inch-Wide-Angle-Kamera wird ein Teil des Monitors in Selfie-Stellung allerdings durch den großen Linsenschutz verdeckt und die Touch-Bedienung ist stark eingeschränkt bis teilweise unmöglich (immerhin kann man die Kamera auch per Smartphone-App bedienen). Die Selfie-Stellung wird man sich mit dem 1-Inch-Kameramodul deshalb also eher nicht bauen.
Auch beim Ein- und Ausbau in den Halte-Rahmen ist das große Schutzglas im Weg und muss jedes Mal abgebaut werden. Das ist aber schnell gemacht und keinesfalls können wir empfehlen, das 1-Inch-Kamera-Modul ohne Schutzglas zu betreiben, denn dann ist die eigentliche Frontlinse ungeschützt und diese steht als Ultraweitwinkel-Linse ähnlich weit aus dem Gehäuse hervor wie bei einer 360-Grad-Kamera. Wir hatten beim Test sogar auch einen richtigen Unfall mit der Kamera beim Skaten, bei denen der Linsenschutz über mehre Meter innigen Kontakt mit der Travemünder Strandpromenade hatte. Die "Schönheit" war danach zwar dahin (das Aluminium erheblich abgeschliffen), aber das eigentliche Schutzglas noch heil und der Linsenschutz sogar noch wasserdicht. Wir können also bestätigen: Das Ding funktioniert gut und sollte eigentlich immer drauf sein.
Kondensation beim Schutzglas Das abschraubbare Schutzglas für das 1-Inch-Kameramodul enthält ein relativ großes Luftvolumen und die darin enthaltene Luft hat natürlich einen gewissen Anteil an Luftfeuchtigkeit. Die Kamera selbst wird relativ warm, also der Bereich um das Gewinde des Schutzglases. Wird die Frontlinse beim Filmen beispielsweise durch Wasserspritzer gekühlt, ist die Frontlinse deutlich kühler als die Luft im Innern und wir hatten im Test den Fall, dass sich die Feuchtigkeit im Innern kreisförmig auf dem Schutzglas niederschlug. Der mittlere Bereich blieb frei. Nutzt man die 45°-Horizont-Lock-Funktion, stört der Effekt lediglich in den Bildecken. Möchte man aber den gesamten weiten Bildwinkel nutzen, sind große Bereiche milchig. Der Effekt tritt nur auf, wenn der Temperaturunterschied zwischen Frontglas und der Luft dahinter besteht. Dies ist aber nicht nur beim (nassen) Jollensegeln zu erwarten, sondern erst recht auch bei Wintersport-Aktivitäten. Abhilfe kann folgendes schaffen: Linsenschutz in möglichst trockener Umgebung aufschrauben (und dann nicht mehr abnehmen). Frontglas erwärmen (Kamera möglichst lange am Körper tragen). Kamera abkühlen lassen, damit der Temperaturunterschied zwischen im Betrieb warmer Kamera und kaltem Linsenschutz nicht zu groß wird.
Der Halterahmen soll übrigens immer verwendet werden, wenn die Kamera Spritzwasser abbekommt oder gar unter Wasser eingesetzt oder mechanisch stark beansprucht wird. Ohne Halterahmen garantiert der Hersteller keine Wasserdichtigkeit und auch keine volle Belastbarkeit. Es gibt wahlweise ein Akku-Pack mit doppelter Kapazität, das dann eine ausklappbare Halterung auf der Unterseite direkt integriert hat. Das ist dann aber eine "Schönwetter-Lösung". Insta360 weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Kombination nicht wasserdicht ist. Dabei dichtet der Halterahmen selbst eigentlich gar nichts ab. Er stellt aber offenbar sicher, dass die Schnappverbindungen und Verriegelungen der verschiedenen Kameramodule nicht zu stark beansprucht werden. Nach intensivem Salzwassereinsatz die Kamera aus dem Halterahmen herauszunehmen, den Linsenschutz wieder aufzuschrauben, und das Ganze dann vorsichtig unter fließendem Süßwasser abspülen – das ging im Test durchaus.
Unbedingt mal lobend erwähnen, weil ich das sonst immer kritisiere, will ich die Sicherungsöse, die der Halterahmen bietet. Beziehungsweise: Es sind sogar gleich zwei Sicherungsöden! Sauber ausgeführt mit einer Metallachse. So etwas gehört meiner Meinung nach an jede hochwertige Actioncam – aber die wenigsten haben sowas. Bei der One R sitzt er nicht an der Kamera selbst, aber am Halterahmen, den man im harten Einsatz ja sowieso verwenden soll. Das ist also völlig OK. Bricht also die Halterung oder löst sie sich und man hat die Kamera noch irgendwo angebunden, dann geht diese nicht verloren und normalerweise auch nicht kaputt, denn sie ist ja robust.
Dass solche winzigen Touchscreens neuerdings in Mode kommen, ist schon interessant. Diese 1,4 Zoll kleinen Displays findet man typischerweise in Smart Watches, aber auch die kleine DJI Osmo Pocket Gimbal-Kamera (inkl. Nachfolger und diverse äquivalente Produkte anderer Hersteller) hat einen solchen kleinen Touch-Screen verbaut. Actions-Cams haben größere Monitore, was der Bedienung und der Darstellung von Symbolen und Sucherbild natürlich sehr förderlich ist. Bei dem modularen Konzept der Insta360 One R war aber gar nicht mehr Platz für einen größeren Monitor, das muss man fairerweise zugeben. So bleibt der kleine Monitor aber eine Notlösung. Die Benutzeroberfläche setzt ganz auf Symbole. Diese sind wiederum oft nicht selbsterklärend, sodass eine gewisse Einarbeitungszeit nötig ist. Man kann sich zwar bei jeder Einstellung mal durchklicken und bekommt eine Ebene tiefer dann auch eine Klartextanzeige auf Englisch, aber so richtig geschmeidig fanden wir die Bedienung nicht.
Einiges lässt sich nur an der Kamera selbst einstellen bzw. aktivieren (z. B. die tolle Horizon-Lock-Funktion, die seit Firmware 1.2.64 für das 1-Inch-Kameramodul und das normale 4K-Kameramodul zur Verfügung steht), andere Sachen lassen sich dann nur an der App einstellen (wie z. B. der Winkel-Bereich, den die Horizon-Lock-Funktion abdecken soll). Dabei wiederum ist es blöd, dass die Kamera nicht am Touchscreen bedient werden kann, wenn die App die Kontrolle über die Kamera übernommen hat, und umgekehrt. Auch die Bedienung am Touchscreen selbst ist nicht konsistent. Manche Menüs werden durch Bestätigung bzw. Auswahl einer Funktion geschlossen, bei anderen muss man explizit aufs X oder auf das Häkchen klicken. Daran haben auch diverse Firmware-Updates nichts geändert. Die Menüs der Insta360 One R kann man übrigens nur entweder auf Englisch oder auf Chinesisch einstellen. Das ist insofern bemerkenswert, weil andere Insta360-Produkte, wie z. B. die One X2 Panoramakamera, durchaus sehr viele Sprachen sprechen und sogar "verstehen" (Voice Control).
Überhaupt nicht gefallen hat mir, dass die Smartphone-App zunächst gar nicht den tatsächlichen Bildschirmausschnitt anzeigt. Man sieht das Kamera-Live-Bild und denkt "Man, was da alles aufs Bild geht!". Allerdings ändert sich das vor der Aufnahme übertragene Bild auch nicht, wenn man z. B. von Superweitwinkel auf Weitwinkel oder Linear umschaltet – das kann natürlich stutzig machen. Erst wenn man die Aufnahme startet sieht man den Bildausschnitt so, wie er tatsächlich aufgenommen wird und stellt dann womöglich fest, dass das so nicht passt.
Bereits bei Superweitwinkel-Videos nimmt die Kamera tatsächlich deutlich weniger auf als den maximalen Bildwinkel, den man z. B. bei Fotos einfangen kann, denn die Kamera nutzt einen ziemlich großen Teil der Sensorfläche für die so genannte Flow-State-Bildstabilisierung. Die funktioniert auch gut, aber es gibt im Leben einer Actioncam durchaus Situationen, wo diese bombenfest irgendwo montiert ist und gar keine Stabilisierung braucht (z. B. als Kamera am Mischpult eines DJs). Deshalb würden wir uns durchaus wünschen, dass man die Flowstate-Stabilisierung bei Bedarf auch abschalten kann.